Sechzehnte Vorlesung
Darstellungsfolge und Theorieaufbau
Nach den Gründen für die
Abfolge der kategorialen Darstellungsobjekte fragen, heißt zugleich nach den
Übergängen fragen. Auf dem Spiel steht dabei das Verständnis dessen, was Marx
seine >dialektische Methode< nennt. Wir hatten ausprobiert, ob sich mit der bei der
Abfolge von Wertausdruck und Austauschprozess der Waren bewährten
praxeologischen Begründung weiterkommen lässt. Zunächst schien dieses
Erklärungsmuster zu funktionieren. Doch dann ging die Darstellung aus der Handlungssequenz
über auf die Ebene der Handlungsbedingungen, die zugleich Handlungsfolgen sind.
Schließlich tauchte als neuer Akteur der Staat mit seiner Währungspolitik auf.
1. Zur Darstellungsfolge im
Geldkapitel (Fortsetzung)
Nachdem in den ersten beiden
Abschnitten des dritten Kapitels Geld als >Maß der Werte< und dann als
>Zirkulationsmittel< behandelt worden ist, überrascht der dritte
Abschnitt mit der kategorischen Überschrift >Geld<. Waren wir nicht schon
die ganze Zeit bei diesem Thema? Die ersten Sätze geben einen Hinweis. Noch
immer geht Marx von der Ware aus:
>Die Ware, welche als Wertmaß und daher
auch, leiblich oder durch Stellvertreter, als Zirkulationsmittel funktioniert,
ist Geld. Gold (resp. Silber) ist daher Geld.< (23/143)
Soll das heißen, dass der
Akzent nun von den Funktionsweisen auf den Funktionsträger verschoben wird?
>Als Geld funktioniert es [das
Edelmetall], einerseits wo es in seiner goldnen (resp. silbernen) Leiblichkeit
erscheinen muss, daher als Geldware, also weder bloß ideell, wie im Wertmaß,
noch repräsentationsfähig, wie im Zirkulationsmittel; andrerseits wo seine
Funktion, ob es selbe nun in eigner Person oder durch Stellvertreter vollziehe,
es als alleinige Wertgestalt oder allein adäquates Dasein des Tauschwerts allen
andren Waren als bloßen Gebrauchswerten gegenüber fixiert.< (143f)
Aber haben denn die Funktionen
des Wertmaßes und des Zirkulationsmittels die Geldware nicht bereits als
>allein adäquates Dasein des Tauschwerts allen andren Waren als bloßen
Gebrauchswerten gegenüber fixiert<? Noch ist nicht klar, was das neue
Darstellungsobjekt sein soll. Doch was dann die Überschrift des ersten
Unterabschnitts als Gegenstand nennt, >Schatzbildung<, ist nun wirklich neu. In Gestalt des für
die Aufrechterhaltung der Warenzirkulation nicht benötigten Geldes, von dem es
hieß, es >fliegt ganz aus der Zirkulationssphäre heraus< (134), hatte es
sich bereits angekündigt. Sobald >Verkauf nicht durch nachfolgenden Kauf
ergänzt wird<, verwandelt es sich >aus Münze in Geld< (144). Hier stocken
wir schon wieder. Sind Münzen nicht in Wirklichkeit bloß eine der Daseinsformen
von Geld, das ihr Oberbegriff ist?
>Mit der ersten Entwicklung der
Warenzirkulation selbst entwickelt sich die Notwendigkeit und die Leidenschaft,
das Produkt der ersten Metamorphose, die verwandelte Gestalt der Ware oder ihre
Goldpuppe festzuhalten.< (144)
Notwendig ist für jeden
Warenproduzenten die Bildung eines Geldvorrats.
>Seine Bedürfnisse erneuern sich
unaufhörlich und gebieten unaufhörlichen Kauf fremder Ware, während Produktion
und Verkauf seiner eignen Ware Zeit kosten und von Zufällen abhängen. Um zu
kaufen, ohne zu verkaufen, muss er vorher verkauft haben, ohne zu kaufen.<
(145)
Soviel zur Notwendigkeit der
Geldzurückhaltung, die sich auf der Zeitachse durch Mehrverausgabung wieder
ausgleicht. Auf die Leidenschaft, die das Geld
fetischistisch, als Ding, festzuhalten treibt, kommen
wir später zurück, wenn wir uns mit den Subjekten der Produktions- und
Austauschprozesse beschäftigen werden. Fürs Erste halten wir die objektive Seite fest, die Macht, die das Geld, ^herrscht^^ es erst
einmal, seinen Besitzern verleiht.
>Die gesellschaftliche Macht wird so zur
Privatmacht der Privatperson.< (146)
Geldkonzentration wäre demnach
Machtkonzentration, freilich nur der Möglichkeit nach, zu deren Realisierung
muss ich es ausgeben.
Zwangsläufig >entstehn auf allen Punkten des Verkehrs Gold- und
Silberschätze vom verschiedensten Umfang< (145). Darin schlägt sich nicht
nur die notwendige Geldbevorratung der einzelnen Warenproduzenten nieder, auch
nicht die besagte Leidenschaft, der sich der
Formwechsel von Ware zu Geld >aus bloßer Vermittlung des Stoffwechsels […]
zum Selbstzweck< (144) verselbständigt; sondern flexible Geldreservoirs sind
eine funktionelle Notwendigkeit der Warenzirkulation insgesamt, als
prozessierendes System genommen.
>Man hat gesehn,
wie mit den beständigen Schwankungen der Warenzirkulation in Umfang, Preisen
und Geschwindigkeit die Umlaufsmasse des Geldes rastlos ebbt und flutet. Sie
muss also der Kontraktion und Expansion fähig sein. Bald muss Geld als Münze attrahiert, bald Münze als Geld repelliert
werden. Damit die wirklich umlaufende Geldmasse dem Sättigungsgrad der
Zirkulationssphäre stets entspreche, muss das in einem Lande befindliche Gold-
oder Silberquantum größer sein als das in Münzfunktion begriffene. Diese
Bedingung wird erfüllt durch die Schatzform des Geldes. Die Schatzreservoirs
dienen zugleich als Abfuhr- und Zufuhrkanäle des zirkulierenden Geldes, welches
seine Umlaufskanäle daher nie überfüllt.< (148)
Nach Behandlung des als Schatz
festgehaltenen Geldvorrats oder der, wie Marx etwas später sagen wird,
>Geldakkumulationen< (156), geht die Darstellung zur Funktion des
>Zahlungsmittels< über. Hier trifft sie auf ökonomische Verhältnisse, bei
denen die >Veräußerung der Ware von der Realisierung ihres Preises zeitlich
getrennt wird< (149).
>Da die Metamorphose der Ware oder die
Entwicklung ihrer Wertform sich hier verändert, erhält auch das Geld eine andre
Funktion. Es wird Zahlungsmittel.< (149)
Der Grund kann in der
unterschiedlichen Länge der Produktionsperioden liegen oder, wie in der
Landwirtschaft, in jahreszeitlicher Bedingtheit. Oder eine Warenart muss erst
noch zu entfernten Märkten transportiert werden.
>Der eine Warenbesitzer kann daher als
Verkäufer auftreten, bevor der andre als Käufer.< (149)
Ein weiterer Fall ist die
Wohnungsmiete, von der Marx annimmt, dass sie erst >nach Ablauf des
Termins< bezahlt wird, was zum Leidwesen der Mieter bei uns nicht mehr der
Fall ist, jedoch vorausweist auf den Fall aller
Fälle, um den es sich im Kapitalismus dreht, die Lohnarbeit, die oft noch immer
erst >nach Ablauf des Termins< bezahlt wird. In all diesen Fällen wird
gekauft, bevor bezahlt wird:
>Der eine Warenbesitzer verkauft vorhandne
Ware, der andre kauft als bloßer Repräsentant von Geld oder als Repräsentant
von künftigem Gelde.< (149)
Vorhandene Ware nur als >Repräsentant von künftigem
Gelde< zu kaufen, also zwar sofort zu kaufen, aber sich zu erst
späterer Bezahlung zu verpflichten, begründet ein neues
ökonomisches Verhältnis:
>Der Verkäufer wird Gläubiger, der Käufer
Schuldner.< (Ebd.)
Diese antagonistischen Charaktermasken sind die >neuen Stempel<,
welche die Formveränderung der Zirkulation den Beteiligten aufdrückt.
>Zunächst also sind es ebenso verschwindende und wechselweis
von denselben Zirkulationsagenten gespielte Rollen wie die von Verkäufer und
Käufer.< (Ebd.) Doch dann, angefangen damit, dass
>der Klassenkampf der antiken Welt z.B. […] sich hauptsächlich in der Form
eines Kampfes zwischen Gläubiger und Schuldner< bewegt hat (149f), bildet
dieses Verhältnis, dessen sich ein eigener finanzkapitalistischer
Geschäftszweig angenommen hat, bis heute einen der großen Antagonismen, vom
kleinformatigen des überschuldeten und zahlungsunfähig gewordenen
Privathaushalts, dem >Zwangsverkäufe seiner Habe< (150) drohen, über die
Verschuldung der öffentlichen
Haushalte bis hin zum Antagonismus der Gläubiger- vs. Schuldnerländer, der den
^Nord-Süd-Konflikt^^ anheizt und in wechselnden Formen von Finanz- und
Weltschuldenkrisen das internationale Krisen- und Konfliktpotenzial vermehrt.
Im Netzwerk der >Verkettung
der Verhältnisse von Gläubiger und Schuldner< ist die Zahlungsfähigkeit des
einen durch die des anderen bedingt, >so dass A, der Geld von seinem
Schuldner B erhält, es an seinen Gläubiger C fortzahlt usw.<, was eine
>prozessierende Kette von Zahlungen< (151) bildet. Niklas Luhmann ist
daher auf die Idee gekommen, anstelle der Warenform (wie bei Marx) den
Zahlungsakt zur Elementar- und Zellenform des Kapitalismus zu erklären, den er
als ein System von Zahlungen, um Zahlungen zu ermöglichen, beschreibt.[1]
Er nützt aus, dass, wie es bei Marx heißt, >die Bewegung des Zahlungsmittels
einen schon vor ihr fertig vorhandnen gesellschaftlichen Zusammenhang
aus[drückt]< (151), so dass er, Luhmann, diesen strukturellen Zusammenhang,
der ihn auf die Klassenverhältnisse geführt hätte, nicht weiter rekonstruieren
zu müssen glaubt. Marx hätte seine Freude an dieser kybernetisch ausgebufften
Vulgärökonomie gehabt, die sich rühmen kann, >das Kriterium des Profits verständlich [zu] machen (und von vermeintlichen
Mehrwertabschöpfungsbedürfnissen des ^Kapitalisten^^ [zu] trennen)< (1984,
313).[2]
Zahlungsmittel zu werden, ist
nicht die einzige neue Funktion, die dem Geld zuwächst. Nachdem die Ware des
Verkäufers ihren Preis >nur in einem privatrechtlichen Titel auf Geld<
realisiert hat (23/150), kann dieser Titel seinerseits Geldfunktion annehmen.
So entsteht das Kreditgeld.
>Das Kreditgeld entspringt unmittelbar aus
der Funktion des Geldes als Zahlungsmittel, indem Schuldzertifikate für die
verkauften Waren selbst wieder zur Übertragung der Schuldforderungen
zirkulieren.< (153f)
Mit fremden Schuldtiteln kann
man eigene Schulden bezahlen in der Form der Verrechnung.
>Die Schuldforderungen von A an B, B an C,
C an A usw. brauchen bloß konfrontiert zu werden, um sich wechselseitig bis zu
einem gewissen Belauf als positive und negative Größen aufzuheben.< (151)
Hier kommt es zu einem
>unvermittelten Widerspruch< (ebd.) in der Funktion des Geldes als
Zahlungsmittel. Während es bei der Verrechnung >nur ideell als Rechengeld
oder Maß der Werte< fungiert (ebd.), sich also in die bloß vorgestellte
Daseinsform zurückzieht, kann es sich umgekehrt, da es nicht mehr an gesellschaftlichen
Stoffwechsel als dessen >verschwindende und vermittelnde Form< gebunden
ist, plötzlich in seiner bargeldlichen Form als
>absolute Ware< geltend machen (151f).
>Dieser Widerspruch eklatiert
in dem Moment der Produktions- und Handelskrisen, der Geldkrise heißt. Sie
ereignet sich nur, wo die prozessierende Kette der Zahlungen und ein
künstliches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind.< (152)
Die Geldkrise eklatiert mit >allgemeineren Störungen< des
>künstlichen< Verrechnungsmechanismus, als >plötzliches Umschlagen aus
dem Kreditsystem in das Monetarsystem<, wie Marx
(in Fn. 100) sich selbst aus Zur Kritik
der politischen Ökonomie
zitiert (13/123), ein Umschlag, dessen Herkunft er hier offen lässt, den er
aber in einer für die dritte Auflage bestimmten Notiz >als besondre Phase
jeder allgemeinen Produktions- und Handelskrise< scharf unterschieden wissen
will
>von der speziellen Sorte der Krise, die
man auch Geldkrise nennt, die aber selbständig auftreten kann, so dass sie auf
Industrie und Handel nur rückschlagend wirkt. Es sind dies Krisen, deren
Bewegungszentrum das Geld-Kapital ist, und daher Bank, Börse, Finanz ihre
unmittelbare Sphäre.< (23/152, Fn. 99)
Es versteht sich, dass diese Zusammenhänge erst
viel später erörtert werden können (vgl. 25/505ff).
Wir dürfen nicht vergessen,
dass wir uns noch immer in der >einfachen Zirkulation< bewegen, dass das
Kapital, sein Produktions- und Zirkulationsprozess sowie erst recht das Finanzkapital
noch lange nicht entwickelt sind. Mit desto größerem Interesse halten wir fest,
dass bereits auf dieser Stufe das Kreditwesen aus der Funktion des Geldes als
Zahlungsmittel entspringt.
>Andrerseits, wie sich das Kreditwesen
ausdehnt, so die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel. Als solches erhält es
eigne Existenzformen, worin es die Sphäre der großen Handelstransaktionen
behaust, während die Gold- oder Silbermünze hauptsächlich in die Sphäre des
Kleinhandels zurückgedrängt wird.< (154)
Mit der sich wechselseitig
verstärkenden Ausdehnung des Kreditwesens und der Funktion des Geldes als
Zahlungsmittel greift letztere >über die Sphäre der Warenzirkulation
hinaus<: Geld >wird die allgemeine Ware der Kontrakte. Renten, Steuern
usw. verwandeln sich aus Naturallieferungen in Geldzahlungen.< Dass aber bei
aller relativen Verselbständigung von Zirkulationsfunktionen dieses Übergreifen
der Zahlungsmittelfunktion des Geldes auf alle herkömmlichen Abgaben und immer
zentraler auf die Steuern, diese Entwicklungsressource des modernen Staates,
>durch die Gesamtgestalt des Produktionsprozesses bedingt wird, beweist z.B.
der zweimal gescheiterte Versuch des römischen Kaiserreichs, alle Abgaben in
Geld zu erheben< (ebd.). Max Weber hat dieses Scheitern zum Gegenstand einer
faszinierenden Untersuchung gemacht (1896).
>Weltgeld<, wie Marx den
Ausdruck >money of the world< von James Steuart
übersetzt (vgl. 159) -- >monnaie universelle<
heißt es in der französischen Kapital-Übersetzung --, existiert bis
heute nicht als Weltwährung. Währungen mögen über die Staatsgrenzen hinaus
^hegemonial^^ sein, doch selbst heute ist der US-Dollar (und wird auch der Euro
nicht) >Weltgeld<, wie oft gesagt wird (etwa Heinrich 2003, 408); sondern
der Dollar ist US-Geld, auch wenn in diesem auf bestimmten Märkten wie dem
Erdölmarkt ein Großteil der Kontrakte abgeschlossen wird und er Züge einer >Weltleitwährung< angenommen hat,
wie Karl-Heinz Roth genauer sagt (2005, 26). [3] Den Unterschied zwischen Weltgeld und Währungen sieht Marx den
Praktiken seiner Zeit gemäß darin, dass die Geldware als Weltgeld jeden lokalen
Zeichencharakter abstreift und >in die ursprüngliche Barrenform der edlen
Metalle zurück[fällt]< (156).
Marx knüpft an die Analyse der
Äquivalentform und ihrer >drei Eigentümlichkeiten< an mit der Bemerkung:
>Im Welthandel entfalten die Waren ihren Wert universell.< (Ebd.) Im 15.
Kapitel wird er zurückkommen auf die Austauschverhältnisse am Weltmarkt –- in der französischen Übersetzung wiederum >marché universel< --, wo das
zunächst national begrenzte Drama, in dem die Einzelfälle auf ihren Durchschnittswert
je nach Produktivität und gesellschaftlicher Notwendigkeit zurückgestutzt oder hochgesetzt werden (VII.6), sich tendenziell global
wiederholt und der Durchschnitt der >nationalen Durchschnitte […] die
Durchschnittseinheit der universellen Arbeit< bildet (584). Dieser Gedanke
muss ihm schon bei der Abhandlung des Geldes als Weltgeld vor Augen gestanden
haben, denn er schreibt:
>Erst auf dem Weltmarkt funktioniert das
Geld in vollem Umfang als die Ware, deren Naturalform zugleich unmittelbar
gesellschaftliche Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit in abstracto ist.
Seine Daseinsweise wird seinem Begriff adäquat.< (156)
Gemeint ist der Begriff der
allgemeinen Äquivalentform, der dem der Geldform zugrundeliegt
(IX.9). Wir haben früher hervorgehoben (XI.6), dass Marx in der Wertformanalyse (90), um
das ^Scheinhafte^^, ^Verkehrte^^ an der Geldform
spürbar zu machen, einen Entwicklungsschritt zurückgeht auf die allgemeine
Äquivalentform. Dies wird im Auge zu behalten sein bei der Diskussion darüber,
wie es sich mit der Geldware im Weltmaßstab seit der Aufhebung der Golddeckung
verhält. Für diese Diskussion sind wir freilich noch nicht gerüstet.
Im Abschnitt über den Umlauf des Geldes als Zirkulationsmittel bemerkte
Marx, >dass die Zirkulationssphäre der Waren ein Loch
hat, wodurch Gold (Silber, kurz das Geldmaterial) in sie eintritt als Ware von
gegebnem Wert< (131). Hier kommt er auf diesen Erstzufluss des Geldmaterials
zurück.
>Diese erste Bewegung ist vermittelt durch
direkten Austausch der in Waren realisierten Nationalarbeiten mit der in edlen
Metallen realisierten Arbeit der Gold und Silber produzierenden Länder.
Andrerseits laufen Gold und Silber fortwährend hin und her zwischen den
verschiednen nationalen Zirkulationssphären, eine Bewegung, die den unaufhörlichen
Oszillationen des Wechselkurses folgt.< (159)
2. Zurück zur Leitfrage
Derartige Oszillationen werden
uns noch beschäftigen. Zunächst nehmen wir unsere Leitfrage nach dem
Zusammenhang von Darstellungssequenz und Begriffsaufbau wieder auf. Marx folgt
ja dem dialektischen –
aber nicht mehr begriffsdialektischen[4]
-- Ideal, in einem kohärenten, an der Sache selbst entwickelten Diskurs die
Kategorien der bürgerlich-kapitalistischen Formenwelt hintereinander
^durchzusprechen^^, was eine wörtliche Bedeutung von dialégesthai ist, – durchquert
von einer ^architektonischen^^ Gliederung im Ganzen, die Verteilung des
Materials auf die unterschiedlichen Bände betreffend. Jeder Einblick in die
Machart und Tragfähigkeit dieses Diskurses ist von höchster Bedeutung nicht nur
für die epistemologisch reflektierte Rezeption, sondern auch für
Anschlussforschungen zum Fordismus und heute zum transnationalen
High-Tech-Kapitalismus, den viele noch immer als >Postfordismus<
bezeichnen, also die Benennung des Neuen am Nicht-Mehr des Alten festmachen.
Machen wir uns klar: Es gibt sie nicht, die eine Patentformel, und was wir
mit der Frage nach dem kohärenten, an der Sache selbst entwickelten Diskurs
meinen, darf nicht damit verwechselt werden.[5]
Weder Entstehungsabfolgen noch Handlungssequenzen erlauben es, den
^architektonischen^^ Aufbau der marxschen Darstellung durchgehend zu begründen.
Auch die vielberedete >Methode, vom Abstrakten zum
Konkreten aufzusteigen< (42/35), die oft als Ausdruck des methodischen
Selbstverständnisses von Marx missverstanden wird,[6]
beschreibt nur sehr allgemein >die Art für das Denken […], sich das Konkrete anzueignen<
(ebd.).[7]
Sie besagt nichts über die besondere, dialektische und ihr Objekt
historisierende Art, wie Marx sie im Unterschied zu den klassischen
bürgerlichen Ökonomen praktiziert.
Nach Marx’ Kriterien völlig illegitim wäre es, würde er einfach die
hegelsche Logik anwenden, wodurch das Resultat zu >angewandter
Metaphysik< würde, bei der >jedes Ding sich als logische Kategorie
darstellt< und >die Dinge dieser Welt nur Stickereien sind auf einem
Stramingewebe, gebildet durch die logischen Kategorien< -- wie Marx im Elend der Philosophie urteilt, seiner
Kritik an Proudhons hegelianisierender
Darstellung der Ökonomie (4/127f). Er weiß und wird es über Jahrzehnte durch
härteste Forschungsarbeit bezeugen, >dass es ein ganz
andres Ding ist, durch Kritik eine Wissenschaft
erst auf den Punkt zu bringen, um sie dialektisch darstellen zu können<, als >ein
abstraktes, fertiges System der Logik< darauf anzuwenden (29/275).[8] Nein, wie die Darstellung der
Forschung folgt, in der es darum geht, >die
Sachen selbst zu finden, das heißt ihren Zusammenhang<, wie er an Engels schreibt (24.8.1867), so ist
dieser Zusammenhang die eigentliche Probe bei der Konzipierung der Übergänge.
Denn die dialektischen Übergänge sind die Probe auf den Zusammenhang im
Einzelnen.
Unterschiedliche Kunstgriffe sind nötig, provisorische Ausklammerungen, um
die Problematik zu vereinfachen; kontrafaktische
Annahmen, um das Verhalten bestimmter Variablen im Gedankenexperiment
durchspielen zu können.
Auch gilt für viele theoretische Operationen oder Sequenzen, dass sie nach
mehr als einer Seite betrachtet werden können. Die Abfolge Wertausdruck –
Tausch lässt sich ^praxeologisch^^ verstehen, da jener diesem in der
entsprechenden Handlungsfolge vorausgeht; und selbst dann noch, wenn unter
Bedingungen entwickelter kapitalistischer Warenproduktion der Akt des
Wertausdrucks zum Preisschild geworden, der Einigungsprozess einseitig zum Kaufentschluss
zusammengeschnurrt ist und an die Stelle des Feilschens Sonderangebote und
Schnäppchenjagd getreten sind, hat sich der praktische Sinn der Sequenz in
residualer Form erhalten und >spielt dieselbe Geschichte täglich vor unsren Augen<.
Andererseits lässt sich dieselbe Abfolge auch unter Strukturgesichtspunkten
begreifen: der Wertausdruck ist elementar, der Austausch gleichsam molekular,
weil auf zwei je einseitig-komplementären Elementarakten fußend. Fasst man den
Begriff der ^Genesis^^ elastisch genug, lässt sich diese Abfolge sogar so
interpretieren, dass im Wertausdruck die Tauschsequenz entspringt – freilich
nur, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Verkehrsform Tausch
gegeben sind.
Die Genealogie des Geldes in Gestalt einer Reihe immer komplexer werdender
Wertausdrücke stellt unverkennbar eine genetische Abfolge dar[9]
und wird von Marx auch so interpretiert, darf freilich nicht mit irgendeiner
Form von vielschichtig determinierter Ereignisgeschichte zusammengeworfen
werden (IX.13). Zugleich ist dieselbe Reihe unter dem Aufbaugesichtspunkt
wachsender Komplexität zu betrachten, wobei der Entstehungszusammenhang darin
seine Richtung hat, dass das strukturell Einfache praktisch kompliziert und das
strukturell Komplexere praktisch einfacher ist (IX.11).
Die >Keimform<, wie Marx
die einfache Wertform im Verhältnis zur Geldform nennt (76), geht
im Entfalteten auf, die >Elementarform<, wie er die Ware im Verhältnis
zum kapitalistischen Reichtum nennt (49), bleibt ^Baustein^^ der ^Gesamtstruktur^^,
ihre Form ^Zelle^^ des ^Gesamtorganismus^^ kapitalistischer Produktion und
Reproduktion.
Übergänge sind die Probe auf den Zusammenhang im Einzelnen, sagten wir. Die
Lösung des Übergangsproblems im Einzelnen ist die Probe auf die Dialektik. Im
Schatten Hegels pflegen sie auf ^logische^^ Mängel zurückgeführt zu werden.
Doch sind die Annahmen, die gemacht werden müssen, um dieser Interpretation eine gewisse Plausibilität zu
verschaffen, überaus umständlich und unwahrscheinlich. Christopher Arthur etwa
vertritt wie Tom Sekine (1998) die 1970 von Reichelt
aufgestellte[10] >Homologie-These<,
die einen >objektiven Idealismus< der Wertform unterstellt, der >einer
objektiven Realität die Gestalt einer Idealität< verleihe und damit die
Zuständigkeit der hegelschen Logik für die Kritik der politischen Ökonomie begründe (2002, 9).[11]
Dagegen kommen unsere ^praxisanalytischen^^ Rekonstruktionen der jeweiligen
Übergänge mit relativ einfachen Annahmen aus und haben den Vorzug, die Subjekte
nicht zu willen- und alternativlosen Exekutoren der Verhältnisse oder einer
unabhängig von jedem Handeln präexistenten ^Logik^^[12]
zu machen, ohne deshalb die determinierende Macht der als Struktur
konstituierten Verhältnisse sich in praxisphilosophisches Wohlgefallen auflösen
zu lassen.
3. Grundform und abgeleitete Formen
Um zusätzliches Material für die Diskussion der Darstellungsfolge und damit
der Aufbaufrage zu gewinnen, greifen wir vor aufs zehnte Kapitel. Dass hier
zuerst der Begriff des relativen Mehrwerts im Allgemeinen entwickelt wird,
bevor zur Betrachtung der >besondren Produktionsmethoden des relativen Mehrwerts< übergegangen wird (23/340),
will zunächst einleuchten, ebenso, warum in den drei folgenden Kapiteln
nacheinander Kooperation – Teilung der Arbeit und Manufaktur – Maschinerie und
große Industrie abgehandelt werden. Hier fällt ein weiterer Schlüsselbegriff
für den Theorieaufbau. Es ist der Begriff der Grundform,
der zuerst bei der Einführung des Kapitalbegriffs auftaucht (178) – darauf
komme ich gleich zurück. Hier nun bezeichnet Grundform eine allgemeine Form,
die vor den besonderen Formen, die auf ihr aufbauen und sie abwandeln,
analysiert werden muss, ein Verhältnis, das unserer Frage nach der
Darstellungsfolge eine weitere Dimension einzieht. Allerdings stocken wir dann
schon wieder: die erste >besondere Form< der Mehrwertproduktion, die
Kooperation, wird von Marx zugleich als >Grundform< aller
kapitalistischen Produktion, also auch der Produktion des absoluten Mehrwerts,
vorgestellt. Immerhin leuchtet ein, dass er sie zunächst als genetisch Erstes
einführt, als diejenige Form, mit der die kapitalistische Produktion >erst
beginnt<:
>Das Wirken einer größern
Arbeiteranzahl zur selben Zeit, in demselben Raum (oder, wenn man will, auf
demselben Arbeitsfeld), zur Produktion derselben Warensorte, unter dem Kommando
desselben Kapitalisten, bildet historisch und begrifflich den Ausgangspunkt der
kapitalistischen Produktion.< (341)
Sollten wir also die Abfolge
absoluter Mehrwert – relativer Mehrwert für eine Sequenz gehalten haben, die
ein historisches oder auch nur genetisches Früher und Später ausdrückt, müsste
uns diese Aussage verwirren, setzt sie doch eine Form der relativen
Mehrwertproduktion als absoluten Beginn.
Der nächste Satz verbaut die Möglichkeit, die
Abfolge Kooperation – Teilung der Arbeit
und Manufaktur für eine genetische zu halten, denn das erste Beispiel für
Kooperation ist gleich die Manufaktur. Als vorgefundenes industrielles Milieu,
aus dem die kapitalistische Produktion erwächst, begreift Marx das Handwerk:
>Mit Bezug auf die Produktionsweise selbst
unterscheidet sich z.B. die Manufaktur in ihren Anfängen kaum anders von der
zünftigen Handwerksindustrie als durch die größere Zahl der gleichzeitig von
demselben Kapital beschäftigten Arbeiter. Die Werkstatt des Zunftmeisters ist
nur erweitert.< (341)
Diese Erweiterung bildet
zunächst die ökonomische Basis für die Herausbildung der Gestalt des
kapitalistischen Unternehmers, indem dessen Vorgänger >zunächst entbunden
wird von der Handarbeit, sobald sein Kapital jene Minimalgröße erreicht hat,
womit die eigentlich kapitalistische Produktion erst beginnt< (351):
>Ursprünglich erschien eine gewisse
Minimalgröße des individuellen Kapitals notwendig, damit die Anzahl der
gleichzeitig ausgebeuteten Arbeiter, daher die Masse des produzierten Mehrwerts
hinreiche, den Arbeitsanwender selbst von der Handarbeit zu entbinden, aus
einem Kleinmeister einen Kapitalisten zu machen und so das Kapitalverhältnis
formell herzustellen.< (349f)
Grundform ist hier die allen
Organisationsformen kapitalistischer Produktion gemeinsame Bestimmung der
Kooperation. Sie ist es, weil sie auf die Mindestzahl von Arbeitskräften abhebt, die
ein Kapital anwenden muss, um genug abzuwerfen für die Erhaltung eines
Unternehmers, der nicht selber direkt Hand anlegt in der Produktion.
>Die Kooperation bleibt die Grundform der
kapitalistischen Produktionsweise, obgleich ihre einfache Gestalt selbst als
besondre Form neben ihren weiterentwickelten Formen erscheint.< (355)
Bei den darauf aufbauenden Formen
kommen weitere Bestimmungen hinzu: zuerst die innerbetriebliche Arbeitsteilung, die mit veränderter
Bedeutung gleichfalls bleiben wird, wenn die Maschinerie als dritte Bestimmung
der Produktionsweise hinzutritt. Und wir können hinzufügen, dass alle drei
Bestimmungen wiederum mit veränderter Bedeutung erhalten bleiben, wenn die
Computerisierung hinzutritt und die Automation ermöglicht. Gleiches gilt, wenn
elektronische (oder bald photonische)
Informationsverarbeitung und Kommunikationstechnologien sich zu einer den
Erdball umspannenden Infrastruktur für den Transport digitaler Gebilde
zusammenschließen und so dem transnationalen
Kapital sein strategisches Organisationsmittel in die Hände geben, das die räumliche Aneinanderbindung nicht nur von
Arbeitsteilung und Kooperation, sondern auch von Entscheidung und Ausführung im
Prozess aufgesprengt und die
Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer hat explodieren lassen.
Komplizierter stellt sich das
Verhältnis von Grundform und abgeleiteten Formen dar, wo es zuerst im Kapital vorkommt. Dort, im Kapitel über
>Die Verwandlung von Geld in Kapital<, geht es darum, warum Kapital
zuerst als produktives, Mehrwert aneignendes, behandelt werden muss, bevor viel
frühere Kapitalformen dargestellt werden können:
>Man versteht daher, warum in unsrer
Analyse der Grundform des Kapitals, der Form, worin es die ökonomische
Organisation der modernen Gesellschaft bestimmt, seine populären und sozusagen antediluvianischen Gestalten, Handelskapital und
Wucherkapital, zunächst gänzlich unberücksichtigt bleiben.< (178)
>Wie das Handelskapital werden wir das zinstragende Kapital im Verlauf unsrer Untersuchung als
abgeleitete Formen vorfinden und zugleich sehn, warum sie historisch vor der
modernen Grundform des Kapitals erscheinen.< (179)
Wie können >abgeleitete
Formen< vor der >Grundform< auftreten? >Abgeleitet-Sein<
kann ja geschichtsmaterialistisch keine bloß in Gedanken erfolgende Deduktion
meinen. Muss es sich dabei nicht um ein wirkliches Sich-Herleiten
aus der Grundform handeln? Muss nicht die Grundform der aus ihr abgeleiteten
Form vorhergehen, auch im wirklichen Geschehen? Und was heißt das anderes, als
dass jene dieser in der wirklichen Geschichte vorhergehen muss?
4. >Das Umgekehrte […] der Reihe der historischen Entwicklung<
Unsere Verwirrung mag sich
zunächst steigern, wenn man uns mit dem bereits früher angeführten Satz aus der
>Einleitung zu den Grundrissen<
konfrontiert:
>Es wäre
also unthubar und falsch, die ökonomischen Categorien in der Folge aufeinander folgen zu lassen, in
der sie historisch die bestimmenden waren< (II.1/42; 42/41).
Vollends verunsichert sind wir,
wenn man uns mit einem zweiten Zitat ^beweist^^, die richtige Abfolge in der
Darstellung sei
>gerade
das Umgekehrte von dem […], was […] der Reihe der historischen Entwicklung
entspricht< (ebd.).
Vertreter der ^logischen^^ Kapital-Interpretation
möchten diese beiden (im Kontext, wo es um die Behandlungsfolge von
Grundeigentum und Kapital geht, völlig einsehbaren) Sätze zu einer dem Kontext
enthobenen, allgemeinen epistemologischen Grundregel machen. Damit soll jede Beziehung zwischen wirklichem Entstehungszusammenhang und Darstellungsfolge
abgebrochen werden. Die marxsche >dialektische Methode< hätte demnach nichts zu tun
mit der genetischen Rekonstruktion, wie wir sie, ausgehend von der >Genesis
der Geldform<, als Herzstück der Kritik der politischen
Ökonomie behauptet haben (XII.9).
Zu behaupten, die
Darstellungsfolge repräsentiere durchgängig
>das Umgekehrte […] der
Reihe der historischen Entwicklung<, widerspricht so offenkundig den
Texttatsachen, mit denen wir uns nun schon geraume Zeit auseinandergesetzt
haben, dass es verblüfft, dass jemand daraus eine allgemeine Regel machen
wollte.[13]
Auf andere Weise falsch, als den Entwicklungszusammenhang prinzipiell auf den
Kopf zu stellen, ist die prinzipielle Verabsolutierung der historischen Abfolge
als Muster der Darstellungssequenz. Ein derartiges ^historisches^^ Verständnis
vertritt etwa Ewald Iljenkow. Um die Verwirrung voll zu machen, versteht er das ebenfalls als >logische Deduktion<:
>Die
Wissenschaft muss mit dem anfangen, womit die wirkliche Geschichte anfängt. Die
logische Entwicklung der theoretischen Bestimmungen muss also den
konkret-geschichtlichen Prozess des Werdens und der Entwicklung des Objekts
ausdrücken.[14] Die logische Deduktion
ist nur der theoretische Ausdruck des geschichtlichen Werdegangs des studierten
Konkretums< (1969, 127).
Unter dem irreführenden Bezug auf die Geschichte als solche verbirgt sich
ein richtiges Moment: Wie man den Aufbau als ein
fortwährendes Sich-Aufbauen denken muss, so den
Anfang als ein fortwährendes Wiederanfangen. Der
Anfang aber spielt zwar innerhalb der
Geschichte, doch ist es zumindest sehr missverständlich, ihn mit dem zu
identifizieren, >womit
die wirkliche Geschichte anfängt<. Iljenkow kommt
auf diese Formulierung, weil er die acht Jahre vor Erscheinen des Kapitals verfasste Formulierung von
Engels paraphrasiert:
>Womit
diese Geschichte [der kapitalistischen Ökonomie] anfängt, damit muss der
Gedankengang ebenfalls anfangen< (13/475).
Engels paraphrasiert hier seinerseits den Satz aus Hegels Logik:
>Was das Erste in der Wissenschaft ist, hat sich müssen geschichtlich als das Erste zeigen.< (I.1, Anm. 1, Lasson 74)
Dieser Zitatenkette scheint nun
frontal zu widersprechen, dass Marx jene Kapitalformen, die >historisch vor
der modernen Grundform des Kapitals erscheinen<, erst lange nach dieser
Grundform, die historisch erst Jahrtausende nach jenen zum Zuge kommt,
behandelt. Oder waren wir vorschnell mit unserem Urteil?
Erinnern wir uns ans früher
(I.11) zitierte marxsche Diktum aus den Grundrissen,
es sei >ebenso unmöglich, direkt von der Arbeit zum Kapital überzugehen, als
von den verschiedenen Menschenracen direkt zum
Bankier oder von der Natur zur Dampfmaschine< (42/183f). Fragt man nun aber,
wie im Kapital der Übergang zum
Kapital erfolgt, so gibt der erste Satz des vierten Kapitels über die >Verwandlung
des Geldes in Kapital< eine Antwort:
>Die Warenzirkulation ist der
Ausgangspunkt des Kapitals.< (23/161)
Der erste Schritt von diesem
Ausgangspunkt erfolgt in der Auswahl des Gesichtspunkts, unter dem das multideterminierte Phänomen der Warenzirkulation betrachtet
werden muss, wenn man den Übergang zum Kapital finden will:
>Sehn wir ab vom stofflichen Inhalt der
Warenzirkulation, vom Austausch der verschiednen Gebrauchswerte, und betrachten
wir nur die ökonomischen Formen, die dieser Prozess erzeugt, so finden wir als
sein letztes Produkt das Geld. Dies letzte Produkt der Warenzirkulation ist die
erste Erscheinungsform des Kapitals.< (Ebd.)
Jacques Bidet hat gegen Marx
eingewandt, G – W - G und Schatzbildung
seien >Praktiken und keine Formen< (2004, 103). Doch ein solcher
vermeintlich ausschließender Gegensatz
von Praktiken und Formen existiert auf gesellschaftlicher Ebene nicht, denn
deren historisch spezifische Formen sind eben Praxisformen (X.7-12 u.ö.).
Weiter meint Bidet, die >Form Markt< enthalte keinerlei über sie
hinaustreibende Dynamik, für die Darstellung könne es daher keinen
>Übergang< zur >Form Kapital< geben, sondern nur einen
>Bruch< (2004, 101). Er muss so denken, weil für ihn Dialektik gleich
hegelsche Dialektik ist, so dass er eine nichthegelianische Art, Übergänge zu
konzipieren, für nicht-dialektisch halten muss.[15]
Wir werden andersherum vorgehen: An der Art, wie Marx den Übergang zum Kapital
konzipiert, soll uns seine >dialektische Methode< interessieren, in Bezug
auf die er im Nachwort zur zweiten Auflage des Kapital beansprucht, sie sei >der Grundlage
nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes
Gegenteil< (23/27).[16]
5. Intermezzo zum Theorieaufbau bei Marx und Aristoteles
An einer viel zitierten Stelle
der Einleitung zu den Grundrissen
umreißt Marx >die wissenschaftlich
richtige Methode<. Sie hebt an mit der analytischen Auseinanderlegung der Erkenntnisobjekte, >bis ich bei den
einfachsten Bestimmungen angelangt wäre<, um von hier aus >die Reise
wieder rückwärts anzutreten<, um endlich wieder beim konkreten Gegenstand
anzulangen, >diesmal aber nicht als bei einer chaotischen Vorstellung eines
Ganzen, sondern als einer reichen Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen< (42/35).
Das >gewöhnlich für das Wichtigste der marxschen Dialektik gehaltene<
Prinzip des >Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten< (Quaas 1992, 28)[17]
umfasst schwerlich erschöpfend oder auch nur in der Hauptsache, was Marx im Kapital >meine dialektische Methode<
nennt (23/27).[18] Zudem ist jenes Prinzip
bereits klassisch vorgeprägt bei dem >großen Forscher< Aristoteles, der ja auch >die Wertform, wie so viele Denkformen, Gesellschaftsformen und
Naturformen zuerst analysiert hat< (73). Dieser erklärt in seiner Abhandlung
zur Politik, die hierbei zugrundegelegte Methode verlange, auf allen Gebieten
>das
Zusammengesetzte [tò súntheton] bis zu den Unzusammengesetzten [méchri tôon asunthétoon] notwendig auseinanderzulegen (denn diese
sind die kleinsten Teile des Ganzen)< (Politik,
1252 a 18ff).
Angewandt auf die Gesellschaft,
die Aristoteles in Gestalt der Polis vor
Augen stand, bedeutete dies zunächst, sie auf ihre Bestandteile hin zu
untersuchen. Doch belässt Aristoteles es nicht bei der mechanistischen Vorstellung, ein
Ganzes aus seinen kleinsten Elementen, in die man es zuvor zerlegt hat, wieder
zusammenzusetzen. Sondern als Gipfel möglicher Erkenntnis bestimmt er just die genetische Rekonstruktion jenes
Ganzen:
>Wenn nun
einer die Sachen als vom Ursprung / Anfang / Prinzip gewordene betrachtet [ex archêes tà prágmata phuómena],
wird er sie wie in den anderen Gebieten auch in diesem wohl am besten betrachten<
(1252 a 24ff).
Olof Gigon reformuliert
in heutiger Sprache mehr als dass er übersetzt:
>Die
beste Methode dürfte hier wie bei den anderen Problemen sein, dass man die
Gegenstände verfolgt, wie sie sich von Anfang an entwickeln.< (1973, 47)
Doch der Anfang der Darstellung und der Anfang der Sache fallen ebenso
wenig zusammen, wie das reale Sich-Entwickeln und die
entwickelnde Darstellung. Althusser entspringt dieser falschen Gleichsetzung um
den Preis, dass er die beiden Auseinanderzuhaltenden nicht mehr zusammenbringt.
Er wendet sich gegen das empiristische Missverständnis, Marx verlasse jemals im
Zuge jenes notorischen ^Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten^^ >die
Ebene der Abstraktionen, d.h. die Ebene der Erkenntnis der ^Produkte des Denkens und Begreifens^^, die Ebene des Begriffs. Wir gehen nur im
Innern der Abstraktion des Erkennens vom Begriff der Struktur und ihrer allgemeinsten Wirkungen zu ihren besonderen Wirkungen
über.< (DKL, 256; LLC, II, 173) Wo Marx vom >inneren Zusammenhang<
spricht, meine der den Zusammenhang im Innern, d.h. im Denken, oder den
begrifflichen Zusammenhang. Das Generalproblem des Althusserschen
Theoretizismus (und damit seiner Empirismuskritik) besteht darin, dass er >zwischen dem begrifflichen Abstraktum einer Sache und der empirisch-konkreten Sache
selbst keinen gemeinsamen homogenen (geistigen oder realen) Raum<
anerkennt (ebd.), kurz, dass er der praktischen
Vermittlung zwischen Denken und Realität keinen Raum gibt, dass er das
Erkennen entgegen seinen Versicherungen nicht als Moment tätigen In-der-Welt-Seins geschehen lässt.[19]
6. >Dieselbe Geschichte
spielt täglich vor unsren Augen<
Wenn Marx das Geld als letztes
Produkt der Warenzirkulation zur ersten Erscheinungsform des Kapitals erklärt,
so ist diese Erstsetzung doppelt zu verstehen, historisch wie gegenwärtig-praktisch. Schauen wir noch einmal auf
die schon öfter betrachtete Stelle:
>Historisch tritt das Kapital dem
Grundeigentum überall zunächst in der Form von Geld gegenüber, als
Geldvermögen, Kaufmannskapital und Wucherkapital. Jedoch bedarf es nicht des
Rückblicks auf die Entstehungsgeschichte des Kapitals, um das Geld als seine
erste Erscheinungsform zu erkennen. Dieselbe Geschichte spielt täglich vor
unsren Augen. Jedes neue Kapital betritt in erster Instanz die Bühne, d.h. den
Markt, Warenmarkt, Arbeitsmarkt oder Geldmarkt, immer noch als Geld, Geld, das
sich durch bestimmte Prozesse in Kapital verwandeln soll.< (161)
Obwohl Kapital >in erster
Instanz< als Geld auftritt, ist Geld an sich noch lange kein Kapital, auch
wenn in ihm sozusagen die Tendenz auf dem Sprung lauern mag, ins
Kapitalistische auszugreifen.[20]
Der früheren Form muss erst eine neue Bestimmung zuwachsen, und diese neue
Bestimmung muss sie dominant überdeterminieren.
>Geld als Geld und Geld als Kapital
unterscheiden sich zunächst nur durch ihre verschiedne Zirkulationsform.<
(Ebd.)
Die Analyse der
>Formunterschiede zwischen den Kreisläufen G - W - G und W - G – W< soll
nun den Übergang zu dem >inhaltlichen Unterschied ergeben, der hinter diesen
Formunterschieden lauert< (162). Bei der Wertformanalyse
rekurrierte Marx auf die >besoins du commerce<, >das Bedürfnis<, den Gegensatz von Ware
und Geld >für den Verkehr äußerlich darzustellen< (102), um >die
Verwandlung von Ware in Geld< zu erklären (IX.10-11). Bei Analyse der
Geldfunktionen und der im Zuge ihrer Ausbildung ins Dasein tretenden neuen
ökonomischen Charaktere ging er auf die Handlungslogik der Akteure ein.
Entsprechend wird er im Fortgang verfahren. Wir folgen dem beim nächsten Mal,
indem wir zugleich die Frage der Personifikation der ökonomischen Kategorien durch die
Akteure erneut aufnehmen. Dabei muss sich zeigen, ob und gegebenenfalls in
welchem Sinn von einer >Verwandlung< von Geld in Kapital gesprochen
werden kann. Und machen wir uns klar: >Verwandlung< ist nur ein anderes
Wort für Übergang.
Zuvor aber müssen wir die drei
Fragen nach dem Verhältnis von historischer Abfolge und Darstellungsfolge
wieder aufnehmen. Bei der letzten, auf die wir bei Iljenkows
These gestoßen sind, die >logische Deduktion< sei >nur der theoretische Ausdruck des
geschichtlichen Werdegangs des studierten Konkretums<,
waren wir in die Falle des Allgemeinausdrucks >Kapital< gegangen, als wir
den Satz im Widerspruch zu der
Tatsache sahen, dass Marx die >moderne Grundform< des Kapitals, die wir
kurz die produktive nennen können, vor den historisch ihr vorausgehenden Formen
des Leih- und Handelskapitals behandelt und dies auch mit einer allgemeinen
Regel begründet. Wenn das Erkenntnisobjekt
beim Übergang zum Kapital jene Grundform ist, trifft es zu, dass diese
ausgehend von derjenigen Gestalt behandelt worden ist – und, soweit wir sehen
können, behandelt werden musste --, mit der es historisch begonnen hat im
Rahmen einer >spezifischen Geschichte<, von der man nicht, wie von seiner
Vorgeschichte, sagen kann, dass sie >in
ihrem Begriff nichts mit dem Resultat zu tun hat, weil sie von der Struktur
einer anderen Produktionsweise
bestimmt wird< (Balibar 1965/1972, 378).
>Dieselbe Geschichte spielt täglich vor
unsren Augen. Jedes neue Kapital betritt in erster Instanz […] den Markt […]
immer noch als Geld, Geld, das sich durch bestimmte Prozesse in Kapital
verwandeln soll.<
Doch trifft ebenso zu, dass diese Geschichte nicht behandelt werden musste
und dass der Übergang weder >logisch<, als >Begriffsableitung<,
noch >historisch<, als Erzählung, sondern allenfalls praxeologisch
nachvollzogen worden ist.
Was aber die Formel aus der >Einleitung zu den Grundrissen< betrifft, so hätten die
Interpreten, die sie kanonisch verabsolutierten, erst einmal genau hinsehen
müssen, bevor sie im Blick
auf die kategoriale Abfolge der Darstellung mit dem Marx-Zitat behaupteten,
richtig sei >gerade das Umgekehrte von dem […], was […] der Reihe der
historischen Entwicklung entspricht< (42/41). Bei Marx erhält diese Formel
ihren Sinn aus dem Kontext als bestimmte
Negation:
>Es wäre
also […] falsch, die ökonomischen Categorien in der
Folge aufeinander folgen zu lassen, in der sie historisch die bestimmenden waren< (Hervorhebung WFH).
Das Wucherkapital konnte vor der modernen Grundform des Kapitals Dominanz
erlangen. Daher konnte Marx sagen, dass sich der
Klassenkampf der antiken Welt >hauptsächlich in der Form eines Kampfes
zwischen Gläubiger und Schuldner< bewegte (23/149)[21]
und dass >in den Intermundien der alten Welt<
Handelsvölker in geradezu abstrakter Reinkultur existierten (93). Wir können uns die von Althusser auf
den Begriff gebrachte Unterscheidung zwischen Dominanz und Determination[22]
zunutze machen und sagen, dass eine nichtkapitalistische, auf dem Grundeigentum
beruhende Struktur ihnen diese Dominanz zugewiesen, sprich: determiniert hat.
Die Darstellungsfolge im Kapital
widerspiegelt also nicht die Dominanzfolge. Das heißt aber nicht, dass nicht
der Entstehungszusammenhang einer zunächst peripheren und erst später strukturbestimmend gewordenen Form im Sinne der genetischen
Rekonstruktion zumindest zum Teil den Leitfaden abgeben kann. Dies gilt jedoch nur
insofern, als der Entstehungszusammenhang nicht mehr aus der
vorkapitalistischen Struktur, sondern bereits aus den auftauchenden Ansätzen der neuen Struktur rekonstruiert wird, ein
Unterschied, den Balibar in Das >Kapital< lesen im Rahmen seiner streng
strukturalistischen Lektüre einst in die methodologische Unterscheidung von
Genealogie und Genese gebracht hat.[23]
Die allgemein belastbare, weil die Geltungsbedingungen
reflektierende Auskunft von Marx zum Verhältnis von Darstellungsfolge und
realer Herausbildungsfolge könnte kaum klarer sein:
>Indes bliebe dann
immer soviel, dass die einfachen Kategorien Ausdrücke von Verhältnissen sind,
in denen das unentwickeltere Konkrete sich realisiert
haben mag, ohne noch die vielseitigre Beziehung oder Verhältnis, das in der
konkretern Kategorie geistig ausgedrückt ist, gesetzt zu haben; während das entwickeltere Konkrete dieselbe Kategorie als ein
untergeordnetes Verhältnis beibehält.< (42/36f)
Man kann sagen, dass in dem Maße auch >der Gang des
abstrakten Denkens, das vom Einfachsten zum Kombinierten aufsteigt, […] dem
wirklichen historischen Prozess
[entspricht]< (Quaas 1992, 130). So stößt sich das
Handeln etwa an den Widersprüchen der primitiven Tauschformen ab, um in die
Bewegungsformen einer höheren Ebene zu springen, deren Erfolgschancen, einmal
erfahren, wie jener >Attraktor< wirken, von dem
die Selbstorganisationstheoretiker sprechen, um den Übergang eines Systems von
einem Aggregatzustand in einen anderen zu erklären. Wir kommen darauf zurück.
Entsprechend haben wir früher gezeigt (IX.13-14 u.ö.),
dass die Wertformen sich
marginal entwickeln; dass sie zwar (gegen alle möglichen Schulen gesagt) sich
tatsächlich als genetische Reihe in der Geschichte zeigen, aber nicht
historisch bestimmend sind, >dass also auch die Entwicklung der Warenform
mit der Entwicklung der Wertform zusammenfällt< (23/76), wiewohl erst das
industrielle Kapital in seinem Siegeszug die Warenform als allgemeine
durchsetzt (183f).
Manche Interpreten meinen, Marx erteile der
genetisch-rekonstruktiven Lesart eine Absage, wenn er von den nacheinander
abgehandelten ökonomischen Kategorien sagt:
>Vielmehr
ist ihre Reihenfolge bestimmt durch die Beziehung, die sie in der modernen
bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben< (42/41).
Es kommt ihnen nicht in den
Sinn, dass sie dabei spontan eine absolute Gleichzeitigkeit unterstellen, die
es in Wirklichkeit nicht geben
kann, weil in ihr der ganze Prozess
buchstäblich zusammenfallen würde. Dem Gewordenen bleibt das Werden immanent.
Es entsteht in jedem Moment neu,[24]
und die Komplementarität von Entstehungszusammenhang
und aktuellem Wirkungszusammenhang zu denken, macht die dialektische
Entwicklungsmethode von Marx aus.[25]
Bleibt eine letzte Frage aus
diesem Zusammenhang zu klären. Marx sagte:
>Wie das Handelskapital werden wir das zinstragende Kapital im Verlauf unsrer Untersuchung als
abgeleitete Formen vorfinden und zugleich sehn, warum sie historisch vor der
modernen Grundform des Kapitals erscheinen.< (179)
Beim zweiten Lesen merken wir:
Er hat gar nicht gesagt, dass die abgeleiteten Formen historisch vor ihrer
Grundform erscheinen. Er sagte in Wirklichkeit,
dass wir Handels- und Wucherkapital >im Verlauf unsrer Untersuchung als
abgeleitete Formen vorfinden< und zugleich begreifen werden, >warum sie
historisch vor der modernen Grundform des Kapitals erscheinen<. Wenn die moderne Grundform
aus ihrer zunächst marginalen Position heraus >historisch bestimmend<
geworden ist, ordnet sie sich die historisch vor ihr bestimmend gewesenen
Formen unter, macht sie zu ihren Momenten, deren Bewegung künftig aus der
Bewegung der kapitalistischen Produktion zu begreifen ist.
___________________
Luhmann, Niklas,
Das sind Preise. Ein
soziologisch-systemtheoretischer Klärungsversuch, 1983
ders., >Die
Wirtschaft der Gesellschaft als autopoietisches
System<, in Zeitschrift f. Soziol., 13. Jg., H. 4, Okt 1984, 308-27
[1] Dass >in der marxistischen Analyse die ^Ware^^ als
^Zelle^^ der Wirtschaft mit kapitalistischer Produktionsweise gesehen< wird,
sei falsch, weil >Zellen wiederum hochkomplexe autopoietische Systeme<
sind (1983, 158). Luhmann versteht weder, dass Marx die Warenform als Zellenform fasst, noch dass er
seinen Ausgangspunkt in der Ware als Einstieg beim >einfachsten
Konkretum< begreift, das seine Prägung als Ware eben von einem solchen >hochkomplexen
autopoietischen System<, nämlich den über den Markt sich vermittelnden
privat-arbeitsteiligen Produktionsverhältnissen erfährt. -- Was Luhmann als des
Rätsels Lösung anbietet, ist nicht falsch, sondern trivial und kratzt nicht
einmal am Lack der gesellschaftlichen Verhältnisse: Zahlungen >sind nur auf
Grund von Zahlungen möglich und haben im […] Zusammenhang der […] Wirtschaft keinen anderen Sinn als Zahlungen zu ermöglichen< (1984,
312). Um Luhmann entgegenzukommen, könnte man Zahlungen als den Elementarakt
des Geldumlaufs fassen, keinesfalls als Elementarform auf derselben
Komplexionsebene wie die Warenform oder auch die Geldform.
[2] >Profit tritt dann ein, wenn die Zahlung dem
Zahlenden selbst zugute kommt.< (Luhmann 1984, 313)
[3] Roth hält es für möglich, dass in absehbarer Zukunft
die >Weltleitwährung US-Dollar durch eine multipolare
Währungskombination< ersetzt wird (28).
[4] Wo vom >inneren dialektischen Übersichhinausgehen< (Balibar 1972,
370) die Rede ist, darf angenommen werden, dass die ^äußeren^^ Vermittlungen
erst lückenhaft analysiert sind. Der Begriff, den wir (^innen^^, d.h. im
Denken) von der Sache haben, scheint dann als solcher über sich hinauszugehen. Was
das Innen-außen-Paradigma aufsprengt, ist die Praxis. Sie >entwindet sich tatsächlich
den traditionellen Entgegensetzungen der Philosophie, insbesondere der binären
Entgegensetzung zur Theorie, weil sie sich der Entgegensetzung von Reproduktion
und Transformation entzieht< (Balibar 1994, 38).
[5] Für Herbert Hörz ist folglich die Dialektik >keine Methode neben den anderen,
sondern zum Verständnis des Zusammenwirkens dieser Methoden geeignet< (1976,
344). Dazu Wallner 1981, 639: >Die dialektisch-materialistische Methode kann m.E. nur dadurch bewusst angewandt werden, dass sie die Auswahl
und Verknüpfung der spezielleren Methoden leitet, so dass als Resultat eine
Methodik entsteht, die die objektive
Dialektik des Gegenstandsbereichs aufzudecken vermag.< Dies ist
seine Antwort auf die kaum je gestellte Frage: >Wie funktioniert eine universell
anwendbare Methode, die kein Universaldietrich ist?< (638) Im Kapital, dem >bisher unübertroffenen
Musterbeispiel der bewusst angewandten
Methode der materialistischen Dialektik<, sieht er eine dialektisch integrierte Vielzahl spezieller Methoden am Werk, namentlich >Analyse
und Synthese, Induktion und Deduktion, den Apparat der formalen Logik, Analogien, mathematische Methoden der Systemanalyse und eine
Vielzahl anderer allgemeinwissenschaftlicher
Methoden< (639).
[6] >Marxens Methode ist es also, explanatorisch
^vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen^^< (Henning 2005, 147).
[7] Alfred Schmidt wandelt die Formel etwas ab: Der
Aufbau der drei Bände Kapital folge
einem >Prozess immanenter Konkretisierung< (1968, 41). Der Abfolge
Produktionsprozess (Band I) – Zirkulationsprozess (Band 2) spricht er dabei den
Bezug auf >^ontologische^^ Realitätsschichten< ab (ebd.), als wären es
nicht unterschiedliche Praxisbereiche, deren Abfolge in der Darstellung
zugleich einer praktischen Sequenz entspricht, da schließlich keine Ware
zirkulieren kann, sie sei denn zuvor produziert worden.
[8] Was bei Hegel als >subjektiver Methodenbegriff< eine geschmähte
Randexistenz führt, die Auffassung von Dialektik als
>vernünftig und dabei kritisch verfahrende Form der Darstellung eines Stoffs, den die Einzelwissenschaften
vorbereitet haben<, macht Marx >zum hen
kaì pánta [ein und alles] der Dialektik< (Fulda 1975, 208f).
[9] Selbst Godelier, für den, wie Quaas (1992, 132)
bemerkt, >es sich bei der marxschen Darstellung um eine >Art logischer,
idealer Genese< (Godelier 1973, 150) handelt, sieht das so: >Die
Reihenfolge des Auftauchens und der Definition der Begriffe entspricht in
diesem Fall der Reihe des Auftauchens von immer komplexeren Warenverhältnissen
in der Geschichte gewisser Gesellschaften.< (248)
[10] >Hegels Idealismus […] ist die bürgerliche Gesellschaft – als Ontologie.< (Reichelt 1970, 80)
Gestützt auf diesen Satz, dessen spekulative Aussage für die
Realität selbst genommen wird, erklärt die Projektgruppe Kritik der politischen Ökonomie vollends: >Die
hegelsche Logik […] ist also ihrem Formgehalt nach reines Denken der
Wertbewegung, Logik des Kapitals.< (1973, 42) Inwiefern? Nach Meinung der Autoren
>zeigte sich Marx in der Wertformanalyse
die objektive gesellschaftliche
Gültigkeit und Notwendigkeit idealistischen Denkens. Ist die bürgerliche
Gesellschaft realer Idealismus, reale
Metaphysik, wird sie von der dialektischen Bewegung des abstrakt
Allgemeinen regiert, dann ist ein Denken, das das Abstrakt-Allgemeine als das
Wahre, Unendliche, als das reale Subjekt charakterisiert, die genaue ideelle
Reproduktion dieses realen Organisationsprizips der kapitalistischen
Produktionsweise.< (41)
[11] John Rosenthal (1998) stuft diese vermeintliche
Homologie auf einen >zufälligen Isomorphismus< herab (zit.n. Arthur 2002,
8).
[12] Ruben schlägt vor, >das Wort ^Logik^^ […]
beiseite zu lassen<, wenn es nicht um Aussagen- und Quantorenlogik, sondern
um das hegelsche Paradigma geht, das in Wirklichkeit
>die Theorie der Genesis der Analytik<
meine; auch der Terminus >logische Struktur des Kapitalbegriffs<
(Reichelt) sei daher >aus dem methodologischen Vokabular auszuscheiden<
(1976, 32).
[13] Nestor Kohan, der die aus Zitaten abgeleitete
Allgemeinbehauptung an sich als allgemeine Regel gelten lassen will, dass
>die logische Methode von Marx die historische Ordnung umdreht [invierte], indem dieser bei seiner
Darstellung vom Entwickeltsten ausgeht und nicht vom genetischen und
chronologischen Ursprung<, geht dann im Blick auf den wirklichen Anfang des Kapital auf die entgegengesetzte
Behauptung über: >folglich< (en
consecuencia) beginne die marxsche Darstellung mit der Ware und nicht mit
den ungleich entwickelteren Kategorien Lohnarbeit und Kapital (2001, 206). Wo
er auf die genetische Reihe der Wertformen zu sprechen kommt, fasst er zusammen
(ohne den Widerspruch zum Vorigen zu reflektieren): >Folglich versucht die
logische Entfaltung der Kategorien, auch wenn sie die reale historische Ordnung
oftmals umkehrt, sie auszudrücken.< (214)
[14] Alfred Schmidt spricht von der >historisch-ökonomischen Analyse des Kapitals<, wobei >ökonomisch< womöglich >logisch< ersetzt (1968, 33). Für Christopher Arthur besteht >logische
Entwicklung< darin, die Wechselbeziehung der Momente des Ganzen zu fassen
(2002, 24).
[15] Bidets Argument ist ein spätes, undeklariertes
Echo auf die Einsicht von Balibar (1965), dass >der Begriff des Übergangs […] niemals der Übergang des Begriffs< sein kann (1972, 368), eine Einsicht,
die vermutlich allgemeiner gilt, als Balibar annahm, der sie auf den Übergang
von einer Produktionsweise zu einer
anderen bezog. Wenn Balibar in diesem Zusammenhang feststellt, >dass Marx
dort, wo eine ^dialektische Logik^^ das
Problem leicht lösen könnte, hartnäckig an nicht-dialektischen logischen Prinzipien festhält<, ergänzt er sogleich: >nicht-dialektisch selbstverständlich gemessen an Hegel<
(ebd.). Die Epigonen, machen solche Umstände nicht mehr, weil, was ihnen als Dialektik gilt, wie selbstverständlich an Hegel gemessen
ist.
[16] Für Alfred Schmidt ist die Dialektik >nichts außerhalb der sie begreifenden
Begriffe, ohne doch, wie bei Hegel, in ihnen sich zu erschöpfen< (1968, 34).
Wie etwas >nichts außerhalb< und gleichwohl nicht bloß ^innerhalb^^ sein
soll, ist einigermaßen rätselhaft.
[17] Wo Marx ein solches Wieder-Aufsteigen für
>offenbar die richtige wissenschaftliche Methode< erklärt und dabei die
vorgängige, umgekehrt verfahrende Forschung unerwähnt lässt, macht Iljenkow aus
dieser Not die Tugend eines >Axioms der Dialektik<: >Deshalb, weil die
Dialektik (im Gegensatz zum Eklektizismus) nicht nach dem Prinzip
^einerseits-andererseits^^ räsonniert, sondern stets die bestimmende,
herrschende Seite bezeichnet, das Moment der Einheit der Gegensätze, das
jeweils entscheidend ist. Es ist dies ein Axiom der Dialektik.< (1969, 90)
Flüssig-Diskursives verwandelt sich so in Statisch-Definitorisches. – Für Derek
Sayer dagegen ist >die verborgene exegetische Struktur des Kapital die einer Hierarchie von
Möglichkeitsbedingungen< -- Warentausch bedingt die Möglichkeit von Geld,
Geld die von Kapital (1979, 101). Er rückt das marxsche Verfahren an Kants
>transzendentale Analytik< heran (109).
[18] Michael Heinrich erklärt: >Damit ist gemeint,
dass im Fortgang der Darstellung die einzelnen Kategorien auseinander entwickelt werden sollen: Sie werden
nicht einfach nach- und nebeneinander präsentiert, es soll vielmehr ihre innere
Beziehung (inwiefern macht eine Kategorie eine andere notwendig) deutlich
werden.< (2004, 35f) Die Beschreibung verdeckt das Problem mehr, als dass
sie es benennt: Was kann es heißen, >Kategorien auseinander zu entwickeln<? – In der Herausbildung einer immer
klareren Gegenposition hierzu lässt sich Marx’ Lernprozess in Sachen Dialektik
begreifen. Gerhard Göhler beschreibt einen entsprechenden Veränderungsschub der
marxschen Dialektikauffassung, der sich bereits im Unterschied der beiden
Durchführungen der Wertformanalyse
in der ersten Kapital-Auflage anbahnt
und vollends in der zweiten Auflage zu Tage tritt. Da er jedoch aufs
Hegelparadigma fixiert bleibt, bildet er den Fortschritt, der einer ins Freie
ist, als Rückzug und >entscheidende Reduktion der Dialektik in Abwendung von
Hegel< (1980, 24) ab. Dass es >freilich nicht mehr die aus immanenter
Notwendigkeit des Fortschreitens sich begründende Entwicklung< sei (124),
kann er dabei nur sagen, weil er unter Immanenz nicht die des in einer
bestimmten Praxisform und in bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen sich
entfaltenden Handlungsantriebs versteht. >Dialektik als eine spezifische Art
und Weise des wissenschaftlichen
Herangehens an die Wirklichkeit
bedeutet bei Marx ganz generell, ihre Elemente als einen genetischen
Begründungszusammenhang mit postulierter Notwendigkeit ihrer Abfolge zu
entwickeln.< (25) Aber >Begründungszusammenhang< bezieht sich nicht
auf die Wirklichkeit, sondern allenfalls auf Sätze über sie im Rahmen einer
Theorie. Und was unter >Notwendigkeit< zu verstehen ist, wäre erst zu
klären. Sollte nicht das Wenden einer Not, sondern die mechanische Verkettung
von Ereignissen gemeint sein, wäre Dialektik nur ein Name für die
Rekonstruktion eines solchen Determinismus. Der Begründungszusammenhang
theoretischer Sätze über Realität aber muss selbst wiederum in Form von Sätzen
über diese Realität durchgeführt werden.
[19] >Jede Tätigkeit,
bei der ein Gegenstand in der Natur
isoliert wird, bildet eine Analyse der Natur.< (Lefebvre
1940/1966, 108)
[20] >Die allgemein dem Geld innewohnende Tendenz,
Kapital zu werden (zumindest Handels- oder Wucherkapital), ist eine
Entwicklungsgesetzmäßigkeit innerhalb des Systems der Ware-Geld-Beziehungen. Dies ungenügend
beachtet zu haben, ist ein schwerwiegender theoretischer Fehler fast aller
^marxistisch^^ orientierten Kapital-Analysen,
dem das fruchtlose Ankämpfen gegen diese Tendenz (gegen eine Gesetzmäßigkeit)
auf der Ebene der Politik entspricht. Die Völker des ehemaligen ^Ostblocks^^
haben bitter dafür bezahlen müssen.< (Quaas 1992, 135)
[21] Dieser Konflikt >endet in Rom mit dem
Untergang des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im
Mittelalter endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners, der
seine politische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüßt. Indes spiegelt die
Geldform - und das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner besitzt die Form
eines Geldverhältnisses - hier nur den Antagonismus tiefer liegender
ökonomischer Lebensbedingungen wider.< (149f)
[22] Mit ihr hat er eine operative Unterscheidung von
Marx, die dieser nicht weiter reflektiert, auf den Begriff gebracht: >Soviel
ist klar, dass das Mittelalter nicht vom Katholizismus und die antike Welt
nicht von der Politik leben konnte. Die Art und Weise, wie sie ihr Leben
gewannen, erklärt umgekehrt, warum dort die Politik, hier der Katholizismus die
Hauptrolle spielte.< (23/96, Fn. 33) M.a.W.: Die jeweilige Produktionsweise determiniert die Dominanz der Politik im klassischen Athen und die der katholischen Kirche
im Mittelalter. Allgemein: >In allen
Gesellschaftsformen ist es eine bestimmte Produktion, die allen übrigen und
deren Verhältnisse daher auch allen übrigen Rang und Einfluss anweist.< (42/40; vgl. LLC, II,
45f; DKL, 129)
[23] Genealogie bezieht er auf die Herausbildung von
Bedingungen einer Produktionsweise unter
der Herrschaft einer anderen; Genese reserviert er für innerstrukturelle
Entwicklungszusammenhänge. >Die Genealogie ist nicht das Gegenstück zur
Genesis; statt die Struktur und ihre
Entstehungsgeschichte zusammenzuführen, trennt
sie das Resultat von seiner Vorgeschichte.< (1965/1972, 280/380) Das
eine der beiden Beispiele Balibars
ist das, was Marx die >ursprüngliche Akkumulation des Kapitals, d.h. seine
historische Genesis< nennt (23/789), das andere die von Marx im selben
Kapitel über die Vorgeschichte des Kapitals abgehandelte >Expropriation der
unmittelbaren Produzenten< (ebd.) als Bedingung der Möglichkeit, dass der Geldbesitzer
>den Arbeitsmarkt als eine besondre Abteilung des Warenmarkts vorfindet< (183). Balibar (290/380) fasst dies als historische Fundsache (trouvaille), was in
der Regulationsschule später aufgegriffen und populär gemacht worden ist (vgl.
Lipietz 1992, 21, u. 1997, 104; kritisch dazu Haug 2003, 30f).
[24] Selbst die >Verwandlung der ^antediluvianischen^^ in moderne Kapitalformen< (Küttler
1983, 39) ist kein ein für alle Male abgeschlossener, sondern ein sich unter
verwandelten Bedingungen innerkapitalistisch immer wiederholender Prozess.
[25] >Die systematisch-genetische Darstellung von
Marx sagt […] selbst stets das historische Gewordensein des Dargestellten
mit< (Müller 1976, 191).