Vorwort
Ein Buch, das seit 1971 zehn Auflagen erfahren hat, in mehrere Sprachen
übersetzt und intensiv diskutiert worden ist, ändert man nicht. Wohl aber
sollte, einer Anregung des Verlags folgend, ein aktualisierendes Kapitel
angefügt werden. Mit dieser Auffassung bin ich an die Neuausgabe herangegangen.
Sie ließ sich nicht halten. Zwar fand ich im grundlegenden Teil des Ersten
Buches kaum etwas zu ändern. Die dort entwickelten Begriffe greifen
unvermindert, und dass die Beispiele aus der Entstehungszeit stammen, die ich später im
Anschluss an Antonio Gramsci als »fordistisch«
begreifen gelernt habe, tut der analytischen Schärfe keinen Abbruch. Es
genügten einige Korrekturen an missverständlichen oder übers Ziel
hinausschießenden Formulierungen.
Anders im vierten Teil des Ersten Buches. Hier, wo Arbeiterklasse und DDR
ins Bild kamen, hatte ich mich »aufs Glatteis« begeben, wie mir ein Rezensent
damals vorhielt.[1] Von der DDR besaß ich nicht viel
mehr als eine vage, durchs Brecht-Theater aufgehellte Vorstellung von Ost-Berlin. Etwas mehr
wusste ich vom jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus, dem meine Sympathie
galt. Mit dem europäischen Staatssozialismus sowjetischer Prägung habe ich mich
erst im Moment seines Untergangs befasst, wovon zwei Bücher zeugen.[2] Dieser Teil musste umgearbeitet werden. Hierfür habe
ich vor allem eine Skizze vom Ende der siebziger Jahre verwenden können, die
eine Momentaufnahme der fordistischen Kaufhausästhetik im Augenblick vor ihrem
historischen Verschwinden bietet.
Vollends sprengte die Arbeit am geplanten Zusatzkapitel die vorgesehene
Dimension. Sie entwickelte ihre eigene Dynamik und mündete in ein Zweites Buch,
das in wiederum vier Teilen von der Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus
handelt. Da der hier zum ersten Mal veröffentlichte Text für sich spricht,
zudem mit einer eigenen Einleitung versehen ist, beschränke ich mich auf eine
Bemerkung zu Auswahl und Stellenwert der Beispiele. Zu jedem derselben und
zu den entsprechenden
Zitaten können mühelos andere und ohne Zweifel auch eklatantere gefunden
werden. Doch der Versuch einer erschöpfenden Darstellung wäre ebenso witzlos
wie unmöglich. Und drastisches Material lenkt eher ab von der Normalität, die
es zu begreifen gilt. Die Beispiele stehen für den Realprozess, aus dem die begrifflichen
Abstraktionen herausgehoben werden. In ihnen sollen die Verhältnisse und deren
Repräsentanten sich selbst charakterisieren. Die fürs Bild verwendeten Farben
sind ausnahmslos die der Wirklichkeit selbst. Davon zehrt die Art von begrifflicher
Durchdringung, wie sie hier versucht wird. Wenn das so entstehende Bild über
die Verhältnisse hinausdeutet, dann deshalb, weil diese selbst über sich
hinausweisen.
Wolfgang Fritz Haug, Los Quemados, im November 2008
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[1] Jürgen Schmidt, »Am Ende
aufs Glatteis«, in: Frankfurter Rundschau, 31. Mai 1972.
[1] Wolfgang Fritz Haug, Gorbatschow. Versuch über den
Zusammenhang seiner Gedanken, Hamburg 1989, sowie, die Illusionen dieses
ersten Werkes abbüßend, Versuch beim Verlieren des Bodens unter den Füßen
neuen Grund zu bekommen. Das Perestrojka-Journal, Hamburg 1990).